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Kondome schützen. Auch und nicht zuletzt vor ungewollter Schwangerschaft. Damit das funktioniert braucht es etwas Erfahrung und Übung und vor allem Verantwortung. Manchmal geht das schief. Und spätestens dann ist die Verantwortung oft ziemlich ungerecht verteilt. Gastautorin Joellie spürt das buchstäblich am eigenen Leib.

Mein Vorsatz für 2018: Mehr Liebe. Körperlich, geistig, über alle Grenzen hinweg. Am 30. Dezember fing ich damit an. Die lose Langzeitaffäre stand vor Tür. Für mehr als eine kurze Begrüßung blieb keine Zeit.

Das Thema Kondome wurde einer beteiligten Person als Task aufgegeben.
Der Task wurde von beiden beteiligten Personen ignoriert.

10 Tage später konnte ich nicht mehr auf dem Bauch schlafen, ein Gefühl, das mir aus den langen Jahren der Pille bekannt vorkam. Alles an mir war (noch) praller als normal, insbesondere meine Brüste. Am zweiten überfälligen Tag machte ich einen Test, am dritten einen zweiten. Am vierten Tag wurde der kleine Zellklumpen in meinem Unterleib zum ersten Passfoto gebeten.

Seitdem habe ich zweimal geweint. Fünfmal, wenn man die viermal von heute einzeln zählt. Seitdem sind 9 Tage vergangen.

Wie lebe ich mit dem Gedanken, einen Zellklumpen im Körper zu haben, der sich emsig teilt, einen ausgewachsenen Körper dazu bringt von 5 auf 6,5 Liter Blut umzusteigen und in 16 Jahren zu einem Austauschjahr ans andere Ende der Welt aufbrechen will.

Eine toughe Sozialarbeiterin hat mich beraten, eine kompetente Ärztin streichelte meine Seele, meine klugen Freunde gucken mich ratlos an.

Wie sage ich jemanden, dessen Nachnamen ich nicht kenne, dass er der Vater meines Kindes ist.

Heute ist ein einsamer Tag. Ein Tag, an dem mir klar wird, wie alleine ich mit dem Thema stehe. Mein Körper, meine Wahl. Niemand außer mir kann die Konsequenzen tragen. Für niemanden außer mir, wird die Entscheidung Konsequenzen haben.

Wer einsam ist, der googelt.

An alle Single Frauen da draußen, die mit Mitte 30 ungewollt schwanger werden: Lasst es. Lest lieber ein Buch über das Anlegen eines Kräutergartens. „Mit Mitte 30 ungewollt schwanger“ – darauf hat Google keine Antwort. Das gibt es nicht. Mit Mitte 30 wird man gewollt schwanger oder informiert sich, wie man noch schnell schwanger werden kann. Mit Mitte 30 muss man für den Fall eines positiven Schwangerschaftstests eine Konfettikanone bereithalten.

Abgesehen davon, dass ich mich alleine fühle und ins Leere blicke, bin ich wütend.

Wütend auf eine Gesellschaft, in der ich die 500-600 € für einen Abbruch alleine bezahlen muss. Es sei denn ich bin bedürftig. Ansprüche an den Vater kann ich nicht stellen. Wütend auf das Mindset, dass ein Kind die Erfüllung sein wird. Wütend, dass eine Frau Mitte 30 dankbar sein muss, ihre Fruchtbarkeit unter Beweis gestellt zu haben. Wütend auf eine Gesetzgebung, die einem Kind circa 250€ monatlich zugesteht, sollte der Vater jedoch mittellos sein, nur 150€. Weil Kinder von armen Menschen weniger Kleidung, Nahrung, Liebe brauchen.

Wütend, dass man über eine ungewollte Schwangerschaft nicht reden kann, wie über neue Winterreifen.

Wütend, dass ich mich in meinem Beruf einschränken muss, der Vater jedoch nicht.

Wütend auf mich selbst, dass ich ohne Kondom Sex hatte.

Wütend, dass nur mir, nicht beiden an der Zeugung beteiligten Personen, eine rechtswidrige, wenn auch straffreie Tat unterstellt werden wird.

Traurig, weil ich nicht schlafen kann und kein sechstes Mal weinen will.

Foto: Kate Ter HaarCC BY 2.0